Chris Killip
Seacoal

In seinem viel beachteten Fotobuch „In Flagrante“ von 1988 veröffentlichte der britische Fotograf Chris Killip Aufnahmen aus dem Norden Englands im Zeichen des wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs. Darin waren auch 15 Fotografien aus „Seacoal“ enthalten, eines von Killips Langzeitprojekten, das nun in einer monografischen Ausstellung zum ersten Mal zu sehen ist.

„Seacoal“ widmet sich den Bewohnern eines Camps, die an einem Küstenstreifen illegal Schwemmkohle von einer nahe am Meer gelegenen Mine sammeln. Die Fotografien Chris Killips zeigen die ärmliche Existenz und die archaische Arbeit dieser Menschen im Schatten der industriellen Krise. „Seacoal“ steht exemplarisch für das dokumentarische Interesse, das die britische Fotografie der 1980er Jahre und deren Beschreibung von Landschaft und Gesellschaft geprägt hat. Dabei zeichnet sich Chris Killips Haltung weniger durch kritische Distanz als viel mehr durch Empathie gegenüber den Protagonisten seiner Bilder aus.

Zwischen 1983 und 1984 verbrachte der britische Fotograf Chris Killip über 14 Monate in einem Karavan in Lynemouth an der nordenglischen Küste. An einem schmalen Küstenstreifen sammelten Bewohner eines Camps am Strand Schwemmkohle, die aus einer nahegelegenen Mine stammte, und verkauften sie illegal weiter. Die Menschen, die diese natürliche Kohlenwäsche nutzten, misstrauten zunächst dem Fotografen. Killip gewann ihr Vertrauen, fotografierte ihre Arbeit und porträtierte ihr Leben in den ärmlichen Behausungen und Wohnwagen. In seinen Bildern werden die verschiedenen Personen und Familien des Coal Camps zu wiederkehrenden, vertrauten Protagonisten – ein Aspekt, der dieses dokumentarische Unternehmen in die Nähe von Walker Evans‘ berühmter Serie Let Us Now Praise Famous Men von 1936 rückt.

Von dieser umfangreichen Arbeit sind bisher nur 17 Fotografien veröffentlicht worden, darunter einige in der viel besprochenen Ausstellung „Another Country“ in der Londoner Serpentine Gallery 1985, zusammen mit Aufnahmen von Killips Kollegen Graham Smith. „Another Country“ war damals ein wichtiges Statement innerhalb der dokumentarisch-kritischen Betrachtung der Thatcher-Ära, ein letzter Höhepunkt der britischen Schwarzweiß-Tradition. Jüngere Fotografen wie Martin Parr, Paul Graham oder später Nick Waplington fotografierten in Farbe.

Heute steht die Seacoal-Serie für ein Kapitel der jüngeren britischen Geschichte, aber auch für eine bestimmte fotografische Haltung, die eine langfristige Dokumentation mit der Schilderung des alltäglichen Lebens einer sozialen Randgruppe verbindet. „Vernacular“ – für diesen englischen Begriff, der das Spezifische einer lokalen Kultur meint, gibt es im Deutschen keine sprachliche Entsprechung; auch für das „Vernacular“ als Interesse und Ausdruck einer künstlerischen Haltung scheint es in einer globalisierten Welt keine Entsprechung mehr zu geben.

Chris Killip (geb. 1946) ist einer der wichtigsten britischen Dokumentarfotografen, in seinen langfristigen Fotoprojekten beschäftigt er sich hauptsächlich mit dem Alltag der britischen Arbeiterklasse. Er stammt von der Isle of Man und zu seinen frühen Arbeiten zählen seine Porträts der Bewohner dieser Insel. Killip war einer der Gründer und Kuratoren der Side Gallery in Newcastle (1977). Für seine Bilder aus dem Nordosten Englands erhielt er 1989 den Henri-Cartier-Bresson-Preis. Ein Jahr zuvor erschien sein legendäres Buch In Flagrante. Seit 1991 lehrt er als Professor für Visual and Environmental Studies an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts.

Zur Ausstellung erscheint ein Fotobuch im Steidl Verlag.

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