„Farbe ist vulgär“ lautet ein entschiedenes Urteil von Walker Evans, das treffend die Ablehnung vieler Autorenfotografen gegenüber der Farbfotografie bis weit in die 1970er Jahre hinein bezeichnet. Für die künstlerisch ambitionierten Fotografen galt das farbige Bild lange als zu bunt, zu wenig wirklichkeitstreu, zu amateurhaft oder zu nahe an der kommerziellen Werbefotografie. Blickt man auf die Geschichte der Colorfotografie, so glaubt man in der Tat, dass die Farbe in der Fotografie eine Konstruktion ist. Jedes Jahrzehnt hatte seinen eigenen Kolorit. Doch was lange als ein Nachteil in der realistischen Darstellung von Wirklichkeit galt, wurde spätestens in den 1970er Jahren als ein Mehrwert erkannt – oder eben, wie im Fall Fred Herzogs, schon früher.
In der Reihe von Wieder- oder Neuentdeckungen dokumentarischer Fotografie der 1960er – 1980er Jahre präsentiert das Museum für Photographie Braunschweig nun zwei Positionen aus Nordamerika, Fred Herzogs Aufnahmen aus Vancouver aus den 1960er Jahren und Bruce Wrightons fotografische Studien der Kleinstadt Binghamton aus den 1980er Jahren. Beide setzen ganz auf Farbe, sei es aufgrund des bildnerischen Eigenwerts oder sei es aus einem Mehr an Realismus. Doch neben der unterschiedlichen Behandlung der Farbe treffen auch zwei unterschiedliche Konzepte des Dokumentarischen aufeinander: Die existentialistische, großstädtische Straßenfotografie der Nachkriegszeit begegnet einem konzeptuellen, stärker soziologisch geprägten Interesse an der Erkundung des kleinbürgerlichen Milieus einer amerikanischen Kleinstadt
Es ist der Berliner Fotoinstitution C/O Berlin zu verdanken, dass Arbeiten des 1930 in Bad Friedrichshall (Württemberg) geborenen Fotografen Fred Herzog, der 1952 nach Kanada emigrierte, nun in Deutschland zu sehen sind. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den Aufnahmen Fred Herzogs aus den 1960er Jahren. Sie zeigen uns die kanadische Stadt Vancouver, Passanten auf der Straße, Menschen in den Hauseingängen, Auslagen von Schaufenstern, Schilder und Schriften, farbige und grafische Studien. Seine Sichtweise lässt noch den Humanismus der 1950er Jahre erahnen, das Interesse für das Miteinander (oder Nebeneinander) der vielen Ethnien und Kulturen, das Theater der Straße, aber auch den einzelnen oder einsamen Menschen. Herzog benutzte den legendären Kodachromefilm mitsamt seiner leuchtenden Farbigkeit und Feinkörnigkeit. Während Herzog damals seine Bilder vor allem als Diaschau präsentierte konnte und nur umständlich zu passablen Abzügen gelangte, profitiert eine heutige Präsentation von den Möglichkeiten der modernen Tintenstrahltechnik.
Über den zweiten Autor dieser Ausstellung schreibt Vicky Goldberg: „Bruce Wrightons Werk entstand in einem überschaubaren Areal, der Innenstadt von Binghamton, New York, und in einigen benachbarten Städten. Dafür blieb ihm nur eine relative kurze Zeitspanne, da er 1988 im Alter von 38 Jahren starb. Dennoch schuf er ein Porträt eines Ortes und einer Zeit sowie einer Klasse in Amerika, das einen historischen Moment viel lebendiger und anschaulicher werden lässt als jedes Geschichtsbuch. Der Schauplatz zeigt sich schon früh in den Fotografien von Straßen, Diners, Hotels und Lagerräumen, doch am entschiedensten gibt er sich in den Porträts der Leute zu erkennen. Wrightons Modelle findet man heute in jeder kleinen Stadt, und dies im Jahre 2010 vielleicht um so mehr als noch in den 1970er Jahren, denn heutzutage haben viele Städte ihre großen Arbeitgeber verloren und die Last der Wirtschaftskrise wiegt schwerer. Wrighton hat also eine kleine Geschichte mit großer Wirkung abgelichtet, eine Geschichte, die zwei Leben hat, eine im Widerhall unserer Zeit und eine in bleibenden Bildern. Die Fotografie, das Leben und die Geschichte.“ Unter dem Titel „At Home“ hat Roland Angst ein Fotobuch zu dieser Serie herausgegeben.
Wir danken C/O Berlin für die Produktion der Fred Herzog-Ausstellung und dem Verlag sowie Galerie Only Photography für die Überlassung der Aufnahmen von Bruce Wrighton.